4 ORGANS
PENDULUM MUSIC (2 versionen)
CELLO PHASE
SLOW MOTION SOUND


wir fokussierten die frühen arbeiten reichs (1966 bis 1970), weil uns in dieser 
radikal minimalistischen und prozessorientierten phase seines schaffens die 
intellektuell schärfsten und gleichzeitig transparentesten stücke zu liegen 
schienen. es ghibt hier ein paradox eines klaren konzepts, daß aber in sich 
bereits elemente des zufalls, des nicht-berechenbaren, des loslassens birgt. 
mit möglichst minimalen mitteln, wird hier tatsächlich prozess und klang eins, 
und erlaubt einblicke und hörerlebnisse, die sozusagen "hinter" der musik 
liegen - als wäre das akkustische ergebnis seiner kompositionen nur die 
(materielle) leinwand, auf die die (immateriellen, nicht-greifbaren) bilder 
projiziert werden.

"even when all cards are on the table, there are still enough mysteries to 
satisfy all" (s.r.)

es nötigt einigen respekt ab, daß sich dieser damals unbekannte und um 
anerkennung ringende komponist soweit als person zurücknimmt, daß 
seine "leistung" als komponist darin besteht, einen entdeckten und 
ausformulierten prozess "laufen zu lassen" und nur nach den kriterien des 
zuhörers da und dort kompositorisch einzugreifen (anfang, ende, zeitmaße etc.)

obwohl er tatsächlich elektronische methoden oder instrumente nie anwandte, 
gaben seine strengen, zwischen kontrolle und zufall oszillierenden 
kompositionen, die in einer radikalen weise die rolle des "sich ausdrückenden 
subjekts" unterwanderte (wiewohl nicht völlig auflöste), entscheidende impulse 
für sich erst viele jahre später entwickelnde herangehensweisen besonders in 
der "u-musik". 


PENDULUM MUSIC

das transparenteste, witzigste und radikalste stück reichs. eine nur als text 
existente komposition, die auf glasklare weise eine koexistenz von zufall und 
kontrolle ermöglicht. fasst alle seine frühen verfahren (phase shifting, 
augmentation...) zusammen:

4 mikrophone pendeln vor aufgedrehten verstärkern und erzeugen im moment, da 
sie sich vor dem lautsprecher befinden einen "feedback"-sound. es entstehen 
patterns, die sich asynchron und zufällig verschieben, die rhythmen und töne 
werden durch das langsamer werdende auspendeln gedehnt. am ende steht ein 
vierstimmiger drone.

demonstrativ verschwindet hier der komponist, genauso der interpret: er wird 
maschinist und beobachter, wird arrangeur einer situation, in die er nach 
dem "start" keinen eingriff mehr nehmen wird, außer den, es zu beenden.

"it's the ultimate process piece. it's me making peace with john cage. it's 
audible sculpture. it's done right, it's kind of funny." (s.r.)


CELLO PHASE


Variante des originalen "violin phase". phase-shifting in seiner puristischen 
ausführung; für aufgenommenes und live gespieltes cello.

ein pattern wird , anfangs von 4 stimmen unisono gespielt, langsam von einem 
instrument verschnellert, bis sich eine verschiebung um eine achtel ergeben 
hat. dieser prozess wird bis zur wiederherstellung der ausgangssituation 
wiederholt. danach treten weitere verknappungen des materials auf.

reich formuliert hier die entstehung von "resulting patterns", also von kaum 
hersagbaren neuschichtungen und überlagerungen durch phasenverschiebung eines 
oft wiederholten knappen musikalischen ausgangsmaterials.


SLOW MOTION SOUND


ebenfalls nur als text existent, da zur zeit seiner entstehung technisch nicht 
realisierbar:

"very gradually slow down a recorded sound to many times its original length 
without changing its pitch or timbre at all."

reich schwebte, nach seinen erfahrungen mit den beiden tonbandstücken "come 
out" und "it's gonna rain", die idee eines sich ständig verlangsamenden klangs 
vor. mittlerweile ist die realisierung dieser idee technisch möglich und wurde 
auch von reich selbst (in einem seiner neuesten werke "hindenburg") angewandt.



4 ORGANS


quasi die "auskomponierte" realisierung von SLOW MOTION SOUND. zugleich auch 
eine bewußte abwendung von elektronischen hilfsmitteln (reich ließ zuvor 
ein "phase shifting pulse gate" entwickeln, um seine vorstellungen relisieren 
zu können, war aber mit der unmusikalität der ergebnisse unzufrieden) und eine 
betonung des "musikantischen". 

ein duodezim-akkrd wird (auf 4 elektrische orgeln aufgeteilt) innerhalb eines 
streng auskomponierten verlaufs auf dem raster eines sture achteln spielenden 
maracas-spielers "zerdehnt", es bleiben die gedrückten tasten immer länger 
liegen, sodaß am schluss ein takt, der zu beginn 11 schläge hatte, weit über 
200 zähler hat.

mit äußerster sensibilität meldet sich hier wie noch nie vorher(d.h. in seinen 
vorangegangenen werken) der komponist zu wort und leitet den 
verlängerungsprozeß, der sich asynchron verschiebend auf die 4 instrumente 
verteilt. da die 4 orgeln eigentlich wie eine klingen, aber verschieden im raum 
verteilt sind, ist hier (wie auch bei PENDULUM MUSIC) auch eine klingende 
raumskulptur dargestellt. 

durch die besondere beschaffenheit des harmonischen materials (ein septakkord , 
der bereits seine aufgelöste tonika beinhaltet) entsteht im laufe der dehnung 
(augmentation) die akkustische täuschung einer auflösung des akkordes, die 
tatsächlich nie stattfindet. so bleibt dieses eigentlich tonal-harmonische 
stück ständig in einer tonalen grauzone bestehen, ein einfaches, aber ungemein 
wirksames spannungselement.